„Wer Haut zeigt, verliert Autorität“

Mit den Temperaturen steigt auch die Zahl der Modesünden. Wer Karriere machen will, sollte auch bei 31 Grad im Schatten ein paar Regeln beherzigen. Und die Flipflops lieber am Strand als im Büro tragen.

Von Inka Wichmann

Der Restaurantbesitzer spannt die Sonnenschirme auf, beim Eisverkäufer verdoppelt sich die Vanillenachfrage, und am Springbrunnen kühlen sich Fünftklässler. Endlich Sommer. Für einige Glückliche ist die Kleiderfrage schnell geklärt: Badehose und Bikini, dazu ein paar Tropfen Sonnenmilch. Doch wer nicht ins Freibad, sondern ins Büro stapft, muss sich auf einen Dresscode einstellen. Können Frauen – wie von Prada diese Saison empfohlen – wirklich in einen wippenden Plisseerock schlüpfen? Und dürfen Männer sich tatsächlich – wie von Louis Vuitton behauptet – in braunen Ledersandalen sehen lassen? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort: Kommt drauf an.

Die Branche entscheidet über die Garderobe: So muss ein Bankberater einer anderen Kleiderordnung folgen als ein Werbetexter. Käme der Bankberater in himmelblauer Chino, müsste er mit hochgezogenen Augenbrauen rechnen – genauso wie der Werbetexter, der im steingrauen Anzug erschiene. „In der Finanzdienstleistungsbranche sind die Regeln kaum aufgeweicht. Im Mediensektor hingegen schon“, sagt der Münchner Kommunikationsexperte Kai Oppel, der mehrere Fachbücher zum stilsicheren Auftreten in der Geschäftswelt verfasst hat. Einen Rat können Bankberater wie Werbetexter beherzigen: „Beobachten Sie, wie die Führungsriege sich kleidet. Was tragen die Menschen, deren Jobs Sie wollen?“

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Wenn der Chef bei 31 Grad zwei Knöpfe öffnet, die Krawatte lockert oder das Sakko ablegt, dürfen die Angestellten es ihm nachtun. Auch sonst können Mitarbeiter sich ein bisschen an der Chefetage orientieren: Farben, Muster, Trends – was ist erlaubt? Doch nicht immer gibt es im Vorstand ein modisches Vorbild. Da schaffen Berühmtheiten Abhilfe. Bundestrainer Joachim Löw zum Beispiel. Spätestens zur Weltmeisterschaft in Südafrika fachsimpelten Modeblogger über sein körperbetontes Hemd mit den aufgekrempelten Ärmeln. Für Frauen lohnen sich die Abendnachrichten – auch in modischer Hinsicht. Vor allem die französische Politik liefert Anhaltspunkte. Die frühere Justizministerin Rachida Dati etwa wusste, wie man in einem grauen Sommerkleid mit breitem Taillengürtel jeder Hitzewelle trotzt.

Knitterfrei im 17-Uhr-Meeting

Eine weiteres Stilgesetz gilt für Männer wie Frauen gleichermaßen: „Achten Sie auf Qualität. Kaufen Sie die richtigen Materialien“, sagt Kai Oppel. Er empfiehlt für die Sommergarderobe eine leichte Schurwolle: „In der schwitzt man nicht.“ Ob der Stoff taugt, kann man noch im Geschäft testen: „Legen Sie die warme Handfläche zum Beispiel in die Kniekehle. Wenn der Stoff dann nicht knittert, können Sie sicher sein: Sie erreichen auch das 17-Uhr-Meeting noch recht faltenfrei.“ Das dürfte den Kollegen im Leinenoutfit nur schwer gelingen. In diesem Punkt haben es Frauen übrigens ein bisschen leichter als Männer. Ihnen steht nicht nur der Hosenanzug – mit Bluse und inzwischen gar Shirt – zur Auswahl. Sie können außerdem in einem Bleistiftrock auftauchen, wenn der Saum das Knie bedeckt, sie dürfen in ein Etuikleid schlüpfen, wenn der Ausschnitt das Dekolleté nicht freilegt.

Kürzlich war ein Pirat bei Günther Jauch in Sandalen zu Gast. Ein Aufschrei gellte durch die Medienlandschaft. Doch das Sandalenverbot betrifft Frauen genauso. Auch Frauen sollten nicht in Sandaletten über die Büroflure hasten, noch nicht einmal in Peeptoes. Denn in beiden Formen offenbaren Frauen ihre Zehen. Und das schickt sich nicht – selbst wenn die Frauen den mädchenhaften Ballerina-Nagellack von Chanel tragen. Also bleiben neben Pumps lediglich Slingbacks, die vorne geschlossen, hinten aber offen sind. Für Leser mit Langzeitgedächntnis: Unter anderem die frühere First Lady Bettina Wulff wurde bei Staatsempfängen in kleidsamen, nudefarbenen Exemplaren gesichtet. Auf Strümpfe dürfen Männer ebenso wenig wie Frauen verzichten. Kniestrümpfe für Männer, Seidenstrümpfe für Frauen. Selbst wenn die Frauenbeine gepflegt und gebräunt sind. Kai Oppel sagt: „Wer Haut zeigt, verliert Autorität.“

Auch Männer dürfen nicht allzu viel Haut präsentieren – vor allem nicht die Unterarme. Viele große Designer haben nun schon Modelmänner in Kurzarmhemden über die Laufstege geschickt. Doch es hilft nichts: Das Hemd wird seinen miserablen Ruf nicht los. Ihm haftet die Aura des schlecht bezahlten Versicherungsvertreters an. Also sollten in jedem Kleiderschrank leichte, langärmelige Oberhemden hängen. Manche Stilberater erlauben darunter ein Unterhemd – entweder ein amerikanisches mit Rundhals oder aber ein ärmelloses aus Feinripp. Kai Oppel hingegen sagt: „Besser nicht.“ Mal lugt der Rundhals hervor, mal zeichnet sich der Feinripp ab. Er rät zur Maßkonfektion. Dann kann der Kunde darum bitten, unter den Armen ein wenig Platz für Luft zu lassen.

Je dunkler, desto kompetenter

Blau, Grau, Schwarz – dieser Dreiklang beherrscht die Geschäftswelt. Von dieser Vorgabe dürfen Frauen stärker abweichen als Männer. Dabei müssen sie allerdings nicht nur im konservativen Umfeld von Banken, Versicherungen und Beratungen Vorsicht walten lassen. Auch in anderen Branchen hat Frau auf der Hut zu sein – vor allem, wenn sie sich für die Sommerfarbe Weiß entscheidet. Nur allzu leicht schimmert sogar hautfarbene Unterwäsche durch den Baumwollstoff. Klüger ist es da, sich in Pfirsich, Minze und Flieder zu präsentieren, in den Pastelltönen, die seit dem Frühjahr ohnehin die Schaufenster dominieren. Trotzdem bleibt die Faustregel bestehen: je dunkler, desto kompetenter.

Erschienen auf faz.net. 2012

Fotos: Vivianna_love / Flickr CC Lizenz