Marc vom Ende komponiert Parfüm. Und außerdem Haushaltsreiniger, Haarshampoos und Raumerfrischer, die wie ein Sonnenuntergang am Meer duften sollen.
Von Inka Wichmann
Marc vom Ende schüttelt den Kopf. „Die nussige Note stört“, sagt er. Hedion, Aurelione, Paculi – insgesamt 43 Zutaten hat er aufgelistet. Doch noch ist er nicht zufrieden: Der Duft soll klarer, fruchtiger sein. Er streicht Pfirsich, fügt Mint hinzu. Das tut er nicht mit Pipette und Reagenzglas, sondern mit Tastatur und Maus. Marc vom Ende steht nicht im Labor, er sitzt am Computer. Sobald er die Rezeptur gutheißt, schickt er sie ein paar Stockwerke tiefer. Dort arbeitet die Ausmischanlage 24 Stunden am Tag. Die Maschine wiegt verlässlicher als eine Menschenhand – sie kann sogar Tropfen durchteilen. Und so auch einen klar-fruchtigen Duft anrühren.
Marc vom Ende hat einen seltenen Beruf: Er arbeitet als Parfümeur für Symrise, den Hersteller von Düften und Aromen, der im niedersächsischen Holzminden sitzt. Dass er sich später Grapefruitnoten für Haarshampoos ausdenken würde, hat vom Ende nie geplant. Ursprünglich wollte er Chemielaborant werden. Während seiner Ausbildungszeit nahm er – „Reiner Zufall!“ – an einem sogenannten Riechtest teil. Konnte er Düfte beschreiben? Feinheiten erkennen? Erinnerungen verknüpfen? All das musste Marc vom Ende bei der Prüfung beweisen. Kein leichtes Unterfangen. Doch er bewährte sich. Und tat so den ersten Schritt zum Parfümeur.
Ein Duft auf der Basis von Licht
1988 war das. Damals hatten erfahrene Kollegen gerade ein später legendäres Parfum entworfen: „Fahrenheit“ für Christian Dior. „Erschaffen Sie einen Duft auf der Basis von Licht“, hatte die Anweisung gelautet. Heute sind Kundenwünsche nicht weniger verrätselt. „Sonnenuntergang am Meer“ hat Marc vom Ende zuletzt gehört; auch „Rubin“ kam schon vor. Solche Instruktionen schätzt er: „Sie gewähren Freiraum.“ Weil sie allerdings unterschiedlichste Vorstellungen zulassen, kann sich ein Parfümeur arg täuschen. Überzeugt, den passenden Duft für ein bestimmtes Bild gefunden zu haben, präsentiert er seine Idee. Und erntet Unverständnis.
Zurück an den Computer, heißt es dann. Dort entwickelt Marc vom Ende rund fünfzehn Düfte gleichzeitig. Im vergangenen Jahr hat er knapp tausend Parfümöle kreiert, die eine Verkaufsnummer erhalten haben. So erfindet er jeden Tag rund drei Düfte. Samstag und Sonntag eingerechnet. Das ist ein gewaltiger Ausstoß – als schriebe ein Schriftsteller jeden Monat ein Buch, drehte ein Regisseur jedes Quartal einen Film. Wie bleibt er unter solchem Druck kreativ? Vom Ende guckt verdutzt: „Es ist einfach ein spannender Job.“ Sollten die Strapazen zu groß werden, kann man immer noch nach Rügen fahren, vielleicht ein bisschen Sanddorn schnuppern.
In seinen Träumen gibt es keine Düfte, in seinen Erinnerungen schon. Vor allem dann, wenn er sie auf Reisen gesammelt hat. Marc vom Ende kann zum Beispiel sogleich abrufen, wie die Pinienbäume, der Propangaskocher, die Zeltplane im Campingurlaub rochen. Sobald er im Labor die Flasche mit dem Etikett „Pinie“ aufschraubt, kehren die Mittelmeerferien seiner Kindheit zurück. Musiker vergessen nie das erste Beethoven-Konzert, zu dem eine Tante sie geschleppt hat, Maler nie den ersten Picasso-Abdruck, den sie aus einem Magazin gerissen haben. Und Parfümeure erinnern sich an Düfte.
Viele Parfümeure können sich gut mit anderen Künstlern austauschen – sie sind Seelenverwandte. Ein Parfümeur schafft Akkorde wie ein Musiker, beschränkt sich auf Paletten wie ein Maler. Marc vom Ende hingegen fühlt sich der Bildhauerei besonders nahe. „Ich habe da so eine Macke“, sagt er. Er nimmt Gerüche als räumliche Figuren wahr. Wenn er an einer Rezeptur arbeitet, sieht er, ob ein Duft etwa runde Formen oder scharfe Kanten besitzt. Allzu rund darf das Resultat nicht sein, allzu kantig aber auch nicht. Abgerundete Kanten strebt er deshalb an: „Der Duft muss etwas Markantes haben.“
Marc vom Ende tupft kein Parfüm auf, wenn er morgens ins Büro kommt. Höchstens am Wochenende trägt er einen – eigens gemischten – Duft. Darin ist er vielen Parfümeuren ähnlich. Ansonsten aber muss er nicht viel entbehren: Er würzt mit Knoblauch, er isst Camenbert. Allenfalls Rotwein kann er nicht unentwegt trinken: „Dann ist die Nase ein bisschen belegt.“ Das Wagnis kann er nicht eingehen, nicht allzu oft wenigstens. Denn die größte Freude an seiner Arbeit empfindet er beim Riechen selbst. Zumal sich diese Fertigkeit mit den Jahren steigert: „Wer lange dabei bleibt, entwickelt sich.“
Aroma in der Tomatensuppe
Marc vom Ende hat in Holzminden begonnen, dann in New York, Hamburg und Paris gearbeitet, bevor er wieder nach Niedersachsen umsiedelte – Symrise ist ein Weltkonzern. Rund fünftausend Angestellte, knapp drei Dutzend Standorte, eineinhalb Milliarden Euro Umsatz – auf solche Zahlen kommt man nicht durch Parfümklassiker allein. Symrise beliefert auch die Hersteller von Waschmitteln und Haushaltsreinigern, Getränken und Süßigkeiten. Wer eine Tomatensuppe, ein Erdbeereis oder ein Kirschjoghurt löffelt, stößt wahrscheinlich auf die Aromen von Symrise – oder von den drei Hauptkonkurrenten.
Eine Komponente riecht nach Zuckerwatte, eine andere nach frisch gemähter Wiese. Zusammen ergeben sie Erdbeere. Marc vom Ende stellt sich Gerüche inzwischen im Kopf vor. „Das war das Schwierigste“, sagt er. Menschen können sich recht leicht eine Orangenseife vergegenwärtigen, können sich aber nur schwer an den dazugehörigen Zitrusduft entsinnen. Noch verzwickter: sich ein Parfum auszumalen, das es bislang nicht gibt. „Man muss die Rohstoffe wieder und wieder riechen.“ Oft verlässt Marc vom Ende deshalb den Computer, kehrt ins Labor zurück: „Ich brauche noch eine blumige Note – was nehme ich da?“
Foto: Florit0 / Flickr CC Lizenz