„Wie mir dann das Herz schlägt!“

Er ist der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers, hat einen feinsinnigen Bestseller über Manieren geschrieben – und ist der Goethe-Universität eng verbunden: Asfa-Wossen Asserate.

Von Inka Wichmann

Ein Arbeitskabuff voller Fachbücher und Quellentexte – das steht Asfa-Wossen Asserate sogleich vor Augen, wenn er an seine Zeit an der Frankfurter Universität zurückdenkt. In jener Nische erforschte der äthiopische Prinz die Geschichte seiner Heimat, schrieb, las und übersetzte. In Tübingen und Cambridge hatte er schon Geschichte und Jura studiert. Frankfurt konnte ihn jedoch mit einem großen Gelehrten locken: Eike Haberland leitete dort das Frobenius-Institut. Ihn hatte Asserate zu seinem Doktorvater auserkoren: „Er war ein Mensch von profundem Wissen, was die historische und ethnologische Seite Äthiopiens anbelangt.“ Und außerdem konnte er fließend auf Amharisch parlieren. Darüber scherzten die beiden oft. „Mein Schüler spricht besser Deutsch als ich“, pflegte Haberland zu sagen. Asserate erwiderte dann: „Aber mein Lehrer spricht besser Amharisch.“

Asfa-Wossen Asserate – Jahrgang 1948 – wuchs in Addis Abeba auf. Dort wurde er, der Großneffe des letzten äthiopischen Kaisers Haile Selassi, von einem österreichischen Kindermädchen versorgt, von deutschen Lehrkräften erzogen. In der Schule lernte er Goethes Dramen und Gedichte, außerdem Bräuche wie Schuhplattler und Plätzchenbacken. Rasch stand fest, dass er zum Studium nach Deutschland gehen würde, erst nach Tübingen, dann nach Frankfurt. Die Pläne für eine Rückreise nach Äthiopien zerschlugen sich jäh. Die kommunistische Revolution erschütterte das Land 1974: Ein Militärputsch entmachtete den Monarchen. Über Nacht wurde Asserate zum Exilanten. Der Vater wurde hingerichtet, die Familie gefangengenommen, der Besitz beschlagnahmt. Mehr als anderthalb Jahrzehnte konnte Asserate nicht heimkehren. Und blieb in Frankfurt.

Häuserkampf in der Nachbarschaft

Pflastersteine flogen, Wasserwerfer fuhren vor. Als Asfa-Wossen Asserate sich in den frühen siebziger Jahren im Westend niederließ, tobte dort der Häuserkampf. Zur Untermiete zog er in eine Altbauwohnung am Beethovenplatz. Groß kann die Unterkunft nicht gewesen sein: „Mein Schließfach“ nannte er sein Zuhause. Dass in der Nachbarschaft Straßenschlachten ausbrachen, erlebte er allenfalls als Zaungast. Mit Wehmut denkt er an diese Anfänge nicht zurück. Und doch möchte er die Zeit nicht missen. „Ganz gleich, wo wir politisch standen: Wir waren jeden Tag damit konfrontiert, unsere Werte zu hinterfragen“, sagt er. Wortgefechte trug man im Hörsaal aus, genauso wie an der Kneipentheke oder auf den Samtsofas in „Moogs Bierbar“. Dort trafen auch große Bankiers auf radikale Studenten. Mittendrin: Asserate, schon damals nicht in Jeans, sondern im Anzug mit Krawatte und Einstecktuch.

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„Wir hatten viele akademische Freiheiten“, sagt Asfa-Wossen Asserate. Die wusste er zu nutzen. Oft setzte er sich fachfremde Veranstaltungen, lauschte den Musikwissenschaftlern, Kunsthistorikern und Philosophen. Besonders gerne stahl er sich in die Vorlesungen, die Lothar Gall, berühmter Professor für Mittlere und Neuere Geschichte, hielt. Eines aber entbehrte er: Damals gab es, anders als heute, noch keinen Campus, auf dem sich alle Studenten unweigerlich trafen. Asserate fehlte ein Platz, der für die Universität stand, mit dem die Studenten sich identifizierten. Trotzdem wuchs das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Viele seiner engsten Freundschaften knüpfte Asserate damals, zu späteren Schriftstellern, Juristen und Bankiers. Langsam schlich Frankfurt sich in sein Herz. Das war eigentlich nicht abzusehen.

Giebelfenster und Kirchturmspitzen, schneebedeckte Berge und sattgrüne Wiesen – so hatte die Lesefibel Deutschland gezeichnet, so hatte der Schuljunge es sich ausgemalt. Überall brüteten Gelehrte mit schlohweißen Haaren über dicken Wälzern in ihren Dachstuben. Umso größer der Schreck, als Asfa-Wossen Asserate Frankfurt in den sechziger Jahren zum ersten Mal einen kurzen Besuch abstattete. Der Hauptbahnhof ähnelte der Bilderbuchidylle nicht im geringsten. Enttäuschung breitete sich aus. Wo steckten bloß die Fachwerkhäuser? Ein hilfsbereiter Taxifahrer steuerte ihn schließlich in das beschaulichere Sachsenhausen auf die andere Mainseite. Ein paar Apfelweinkneipen, die Klappergasse – dort fand Asserate zumindest Bruchstücke der Mittelalterwelt, die er aus Spielfilmen kannte. Und immerhin: Der Henninger-Turm drehte sich. Ein kleiner Trost.

Frankfurt ist eine Lebensphilosophie

Asfa-Wossen Asserate lebt inzwischen seit weit mehr als dreißig Jahren in Frankfurt; einen anderen Lebensmittelpunkt kann er sich nicht vorstellen. Es ist „diese Mischung aus Provinziellem und Kosmopolitischem“, die ihm behagt. „In Frankfurt gibt es alles, was ich auch in London, Paris oder New York vorfinde, allerdings im Gegensatz zu jenen Städten in einem Umkreis von eineinhalb Kilometern.“ Er nennt Frankfurt nicht nur einen Wohnort, sondern auch eine Lebensart, eine Lebensphilosophie. „Städte können Menschen in ihrem Denken beeinflussen“, sagt er. „Frankfurt gibt uns die Möglichkeit, große Tugenden zu praktizieren.“ Toleranz zum Beispiel, auch Neugier auf fremde Kulturen. Wenn er am Mainufer in sein Lieblingsrestaurant mit äthiopischer Küche geht, dann trifft er dort fast ausschließlich auf deutsche Gäste: „Wie mir dann das Herz schlägt!“

Asfa-Wossen Asserates ist heute als Unternehmensberater für Afrika und den Mittleren Osten tätig. Bekanntheit erlangte er mit seinem Buch „Manieren“, das einhellig von der Kritik gelobt wurde. Seine Autobiographie „Ein Prinz aus dem Hause David und warum er in Deutschland blieb“ ist im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen.

 

Erschienen in F.A.Z. 2012

Foto: Ottovonhabsburg.org / Flickr CC Lizenz